I. 
			Das Wesen des Wushus
			In der 
			deutschen Sprache heißt es „chinesische Kampfkunst“, „Kampfbewegung“ 
			oder auch „Kungfu“. In der Umgangssprache werden diese Wörter oft so 
			verwendet, als würden sie die gleiche Bedeutung besitzen. 
			Insbesondere vor dem Hintergrund meiner bisherigen Überlegungen 
			haben diese Wörter „Kampf“, „Bewegung“ und „Kunst“ aber deutlich 
			verschiedene Bedeutungen. 
			
				- 
				
				Unter Kampfkunst verstehe ich die Kunst des Kampfes. 
- 
				
				Unter Kampfbewegung verstehe ich nicht eine spezifische 
				Bewegungsausführung wie einen bestimmten Schlag oder Tritt, 
				sondern die Bewegung des Kampfes, seine Dynamik, das 
				Wechselwirken der Kämpfenden. Das Kampf-Geschehen ist ein 
				lebendiger Prozess, er lebt und bewegt sich. 
- 
				
				Die Bewegungskunst des Kampfes verbindet die Kampfkunst mit der 
				Kampfbewegung. Ich verstehe sie als einen Prozess, der ähnlich 
				wie jener Lebensprozess ist, der die Schmetterlings-Larve mit 
				den Schmetterling verbindet. 
In 
			China benennt man die chinesische Kampfkunst als Wushu. In der 
			chinesischen Geschichte gibt es für das Wushu aber verschiedenen 
			Namen:
			
				- 
				
				Zum einen gibt es Boji (Kämpfen),
				 
- 
				
				Ein anderer Name ist Jiaoli (Kraft 
				gegen Kraft),  
- 
				
				Eine weitere, fremd erscheinende Bezeichnung
				ist Wuyi oder Guoshi (Technik und 
				Methode die Nation zufördern) 
In der 
			deutschen Übersetzung fallen alle diese Namen weg, lediglich das 
			Wushu bleibt übrig. Doch aus meiner Sicht ist es nicht möglich, die 
			eben vorgestellten Begriffe unter Wushu zusammen zu fassen: sie sind 
			nicht Namen für die gleiche Sache! Wenn man einen Namen als einen 
			bestimmten Begriff auffasst, dann gibt es für diesen Namen eine ganz 
			bestimmte Bedeutung. Wenn man dagegen diesen Namen nur als Namen 
			betrachtet, dann kann es für das Selbe verschiedene Namen geben, die 
			dann aber alle die gleiche Bedeutung haben. Deshalb kann man die 
			eben genannten Begriffe genauer voneinander unterscheiden.
			
Um 
			sich dem Verständnis von Wushu zu nähern, möchte ich vorerst auf 
			Wuyi eingehen. Beim Namen Wuyi steht das „Wu“ für Gewalt, das „Yi“ 
			hingegen bedeutet Kunst. Die genaue Bedeutung Wuyi ist daher das, 
			was man auf Deutsch als Gewalt ausübende Kunst, also als Kampfkunst 
			benennen könnte (was ich schon zu Beginn dieses Abschnitts erklärt 
			habe). Folge ich dieser Betrachtungsweise, dann bedeutet Wushu im 
			Unterschied dazu jedoch etwas ganz anderes. Das „Wu“ habe ich eben 
			schon geklärt – es besitzt die selbe Bedeutung. Das „Shu“ hingegen 
			bedeutet Technik oder Methode. Wushu bedeutet deshalb nicht etwa 
			„Gewalt ausübende Kunst“ (denn dafür wäre der weniger bekannte 
			Begriff „Wuyi“ nötig), sondern „Kampf-Technik“ oder „Kampf-Methode“ 
			– und zwar in der Weise, in der ich die Kampfbewegung erläutert 
			habe.
			
Wenn 
			man anerkennt, dass es das Wesen ist und nicht der Name, der 
			letztendlich darüber entscheiden sollte, was für eine Sache ich 
			wirklich als Untersuchungsgegenstand vor mir habe, dann entscheidet 
			auch das Wesen meines Untersuchungsgegenstandes darüber, was 
			sprachlich exakt als „chinesische Kampfkunst“ benannt werden sollte. 
			Das Wesen der chinesischen Kampfkunst ist die Einheit von Kampf, 
			Bewegen und der Kunst im Bewegen und Kämpfen.
			
Wenn 
			das Wesen des Wushu die kunstvolle Kampfbewegung ist, dann stellt 
			sich sofort die Frage, welcher grundlegende Unterschied zwischen 
			Wushu und anderen bekannten Kampfsportarten wie Karate, Taekwondo 
			usw. besteht. Besteht ein Wesens-Unterschied zwischen den 
			verschiedenen, fernöstlichen Kampfsportarten, also einen Unterschied 
			jenseits der einzelnen Formen des Bewegens im Karate, Taekwondo 
			usw.?
			
Ich 
			meine nicht, dass ein grundlegender Wesens-Unterschied zwischen 
			ihnen besteht. Dabei denke ich insbesondere an den gemeinsamen 
			historischen Ursprung dieser Kampfkünste innerhalb der damaligen 
			gesellschaftlichen Zustände Auch denke ich an ihre spezielle 
			Entwicklung von damals bis in die Gegenwart hinein. Besonders muss 
			berücksichtigt werden, dass kulturelle Wechselbeziehungen immer 
			wieder zu technischen Wechselwirkungen und Kreuzungen zwischen den 
			verschiedenen Kampfsportarten wie Wushu, Karate und Taekwondo 
			geführt haben. Es gibt daher keinen sogenannten „reinen Stil“ im 
			Sinne eines kulturell unbelassen, ursprünglichen Stils. Aber die 
			Quelle des Motivs, das Wesen kommt aus dem Mutterland. Im Falle des 
			Wushu aus China. Das Wesen des Kampfsports – eben als sein Wesen mit 
			seinen spezifischen Wesenszügen – ist in der Kultur und Tradition 
			des Mutterlands herausgebildet und entwickelt worden. Es nimmt daher 
			die Qualität der Kultur und Tradition des Mutterlands in seiner 
			weiteren Entwicklung mit. Diese Qualität ist ihr gemeinsames Wesen, 
			trotz aller späteren kulturellen Unterschiede.
			
 
			
II. 
			Das System des Wushus
			
Ein 
			besonderer Wesenszug des chinesischen Denkens ist die Vorstellung, 
			dass das Sein einer Sache weder allein für sich, noch isoliert von 
			den anderen Sachen existiert. Das Sein einer Sache wird zwar geprägt 
			von ihrer bestimmten Zeit und ihrem bestimmten Raum, aber die Welt 
			ist nicht nur eine äußerlich verbundende Welt. In jeder Sache gibt 
			es neben „äußeren Verbindungen“ darüber hinaus auch „innere 
			Verbindungen“. Im chinesischen Denken bildet diese Einheit der 
			inneren und äußeren Verbindungen ein System heraus, welches sich in 
			einer bestimmten Ordnung befindet. 
			
Die 
			chinesische Bewegungskunst des Kampfes kann man unterschiedlich 
			betrachten. Je nachdem, worauf man bei dieser Betrachtung den 
			eigenen Akzent legt, erscheint das System der chinesischen 
			Bewegungskunst des Kampfes auch in verschiedenen Strukturen. Zum 
			Beispiel:
			
				- 
				
				Nach dem Zeitraum sieht man das ältere Wushu und das moderne 
				Wushu.  
- 
				
				Nach der Region sieht man das südliche Wushu und das nördliche 
				Wushu.  
- 
				
				Nach den Trägern sieht man das Wushu der älteren Menschen und 
				das Wushu der jüngeren Menschen.  
- 
				
				Nach der Wirkung sieht man das Kampf-Wushu und das 
				Gesundheits-Wushu.  
- 
				
				Nach den Bewegungsarten sieht man das Taolu-Wushu und 
				Sanda-Wushu. 
- 
				
				Nach den Bewegungs-Elementen sieht man Hand-Bewegungen und 
				Fuß-Bewegungen. 
- 
				
				Nach den Stilen sieht man die verschiedenen Stile des Wushu. 
			Betrachte ich das Wushu nach dem Unterschied Ti-Yong (Körper und 
			Anwendung) und Tradition, dann sehe ich im System des Wushus: 
			
				- 
				
				Bewegungs-Elemente,  
- 
				
				Bewegungs-Arten, 
- 
				
				Traditionelle Stile. 
Wenn 
			man jenen Standpunkt einnimmt, der die Elemente und die Struktur der 
			Sache betrachtet, dann erscheint die Sache aus Elementen mit 
			kondensierenden Regeln zusammengesetzt. Hier kann man dann 
			entdecken, dass das Wushu aus verschiedenen Bewegungs-Elementen 
			zusammengesetzt ist, ohne Ausnahmen. Jedes Wushu zeigt dann in ihrer 
			Erscheinung folgende Bewegungselemente:
			
			
Man 
			unterscheidet ein „traditionelles Wushu“ und ein „modernes Wushu“. 
			Unter dem traditionellen verstehe ich, dass es deutlich erkennbar 
			zeigt, dass es von einer bestimmten Abstammung her kommt und gerade 
			im Zustand dieser Tradition steht. Wenn man welches als Tradition 
			betrachtet, muss diese Tradition ihre Vergangenheit und Gegenwart 
			haben. Was in der Vergangheit und Gegenwart fließt, nenne ich als 
			Tradition. Wenn man dagegen das moderne Wushu nur als das Wushu im 
			modernen „Zeitraum“ auffasst, dann kann man nur zwischen dem 
			traditionellen und modernen „Zeitraum“ unterscheiden, nicht aber 
			zwischen dem traditionellen und modernen „Wushu“. Man sollte es 
			deshalb so verstehen, dass zwar das Wushu in verschiedenen 
			Zeiträumen mit verschiedenen kulturellen Qualitäten vermischt ist, 
			dass es aber trotzdem nur deswegen „Wushu“ ist, weil in ihm das 
			traditionelle Wesen weiterfließt.
			
Das 
			traditionelle Wushu ist dadurch gekennzeichnet, dass es zwischen der 
			Ausprägung einer bestimmten Schule und ihrer Tradition, diese beiden 
			verbindend, immer hin- und herläuft. Wenn ich das moderne Wushu nur 
			als das Wushu im modernen Zeitraum betrachte, dann erscheint es in 
			als drei verschiedenen Ausprägungen:
			
				- 
				
				als traditionelles Wushu in der modernen Zeit; 
- 
				
				als modernes Wettkampf-Wushu, 
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				als Wushu im Park in China, ähnlich wie der gesundheits- und 
				freizeitorientierte Sport für Alle in Deutschland. 
				
				
					
					
					 
					Redaktion der Wushu-Lehrbücher der Sport-hochschule und 
					–Fakultät: „Wushu oberer Band“, Verlag des Volkssports, 
					1985. S. 1-2.