Zum Verstehen: Taijiquan als Kampfbewegung und Kampfkunst.
Hintergrund: Kämpfen zwischen Chen Kefu (Meister, weißer Kranig-Stil)
und Wu Gongyi (Meister, Wu-Stil Taijiquan) im Jahr 1954 in Macau
Ich habe den traditionellen chinesischen Kampf in „Kampfkunst“ und
„Kampfbewegung“ unterschieden. Die „traditionelle chinesische
Kampfkunst“ und die „Kampfbewegung“ sind verbunden und doch
unterschiedlich. Die „traditionelle chinesische Kampfkunst“ und die
„Kampfbewegung“ bilden als Einheit den „traditionellen chinesischen
Kampf“. Beide sind zwei Stufen in dem Kampf. Der „Weg der Kampfkunst“
geht der von „Kampfbewegung“ zur „Kampfkunst“. Die Kampfbewegung ist die
Grundlage der Kampfkunst. Die Kampfbewegung ist der Träger der
Kampfkunst. Die Kampfkunst wird durch die Kampfbewegung erzeugt. Ein
Vergleich: Ein schönes Bild besteht aus verschiedenen Farben. Wenn es
aber keinen Träger gibt, z.B. Papier, wo sollen dann die Farben bleiben?
Wo ist dann das Bild? Wenn man auf eine ähnliche Weise die Kampfkunst
von der Kampfbewegung abtrennt, als ob es sich um zwei getrennte Wesen
handele, dann ist das so, als wenn man die Farben von ihrem Träger
trennt. Also kann man die Kampfkunst nicht von der Kampfbewegung
trennen!
Wenn die Kampfbewegung zur Kampfkunst wird, dann gibt es schöne,
lebendige Farben. Das Schöne des Schmetterlings kommt aus der
Schmetterlings-Larve[1]. Das
schöne Leben des Schmetterlings umfasst zwei Teile, die eine Einheit
sind. Wegen der unansehnlichen Schmetterlings-Larve kann man nicht
leugnen, dass der Schmetterling schön ist. Das Schöne des Schmetterlings
kommt aus seinem ganzen Leben.
Das Leben des traditionellen chinesischen Kampfs ist sein Ganzes,
„Kampfbewegung und Kampfkunst“. Die Kampfbewegung ist die
Bewegungs-Methode, sie zeigt, wie man sich bewegt. Man kann im
menschlichen Körper selbst fühlen, dass man sich stark bewegt hat, sich
koordiniert bewegt hat. Durch die Bewegung sucht man die Einübung und
Koordinierung des Körpers und der Glieder. In der Kampfkunst erreicht
man die Koordinierung und Harmonisierung zwischen den Körper, Umgebung
und Geist. Sun Lutang hat über Baguazhang so geschrieben:
„Ältere Menschen sagten, wenn es groß ist, gibt es kein Äußeres,
und wenn es klein ist, kein Inneres mehr. Wenn es sich öffnet, sind
die Sechs-Verbindungen voll. Wenn es sich einrollt, ist es wie ein
Geheimnis verborgen.“[2]
Der Körper zieht sich vom hohen bis zum tiefen Zustand zusammen. Der
Körper wird wie in den Abgrund gezogen. „Von vorne bis hinten zuziehen“
bedeutet, den Körper in ein tiefes Loch zu ziehen.
„Der Körpers streckt sich vom Tiefsten und Kleinsten des
Zusammenziehens bis nach oben, als ob die Hand an den Himmel klopft.
In die Weite (waagerechte Ebene) streckt sich die Hand, als ob sie
in die Ecke des Meeres sticht. Das ist die raffinierte Bedeutung des
Öffnens und Schließen, ein lang Ziehen im Quan.“[3]
Aus der Bewegungs-Praxis bringe ich das Gefühl von Denken und Bewegen in
die Bewegungskunst mit. Wenn ich die Kampfbewegung als eine Bewegung
mache, sorge ich zuerst dafür, dass ich meinen Körper genau bewege. Ich
achte darauf, wie ich meinen Körper koordiniere und übe dies ein. Dann
fühle ich, dass ich die Bewegung fließend machen kann.
Dann gehe ich weiter, wie Sun Lutang es beschrieben hat. Das genaue
Gefühl kommt und geht in meinem Geist. Mit mir und ohne mich, mit der
Umgebung und ohne die Umgebung, mit Denken und ohne Denken ist alles
harmonisch. Ich bleibe mit der Umgebung gleich. Das ist Dao des Yin und
Yang:
-
Angreifen und Schützen;
-
nach vorne gehen und nach hinten gehen;
-
nach oben bewegen und nach unten bewegen;
-
nach links drehen und nach rechts drehen;
-
Bewegen und Beruhigen;
-
schnell und langsam;
-
hart und sanft;
-
voll und leer.
Keine „Bewegung“ passt nicht zu Yin und Yang. Keine „Bewegung“ passt
nicht zum Dao des Taijis. Die chinesische Kampfkunst ist das Dao des
Taijis. Man kann nicht durch eine „Bewegung“ schon beurteilen, wie es
ist. Yin und Yang sind im fließenden „Bewegen“.
[1] Vgl. Tiwald,
Horst: Logik und Bewegen. In: Tiwald, Horst: Bewegtes
Philosophieren – Bewegen – Sprache – Erkenntnis. S. 157-168.
[2] Sun, Lutang
(1860-1933): Quan Yi Shu Zhen (Die Bedeutung der Faust echt
beschreiben). In: Sun, Jianyun (1914-2003): Sun Lutang Wu Xue Lu
(Sammlung der Wushu-Lehre von Sun Lutang). S. 322.